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Junge Geflüchtete während der Corona-Pandemie: Jugendarbeit bahnt sich neue Wege

Neue Anforderungen an Sozialarbeitende: Die Lockdown-Phasen während der Corona-Pandemie erschweren die Integration junger Geflüchteter. Was Fachkräfte für Kinder- und Jugendarbeit aus einem aktuellen Forschungs- und Praxisprojekt lernen können.

Veröffentlicht am 18.05.2021

Der Lockdown reduziert das soziale Leben oft auf digitale Kommunikation: Eine Situation, die derzeit fast alle Menschen betrifft, und vor allem Kinder und Jugendliche belastet. Insbesondere junge Geflüchtete stellt das vor die Herausforderung, Kontakte zu Gleichaltrigen, aber auch zu Fachkräften über Smartphone und Co. zu halten, wodurch wichtige Schritte der Integration erschwert werden. Daher ist die Jugendarbeit gerade jetzt gefordert Unterstützung zu leisten und junge Geflüchtete zu befähigen, eigene Schritte zu einem selbstbestimmten Leben in Deutschland weiterzugehen. Darauf weist ein Mainzer Forschungsteam hin, das die Chancen der Jugendarbeit für junge Menschen mit Fluchtgeschichte untersucht und die Erkenntnisse 2020 als Arbeitshilfe zusammengestellt hat.
Die Türen vieler Jugendhilfeeinrichtungen müssen derzeit geschlossen bleiben.
Foto: Pixabay, frei für kommerzielle Nutzung. Kein Bildnachweis nötig
Covid-19 hat viele Wege verschüttet, über die Sozialarbeitende und junge Geflüchtete bisher miteinander in Kontakt treten konnten. Gerade jetzt ist Jugendarbeit aber besonders wichtig, wie Anika Metzdorf-Scheithauer erläutert, die im Team am Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism gGmbH) das Thema „Integrationspotenziale der Kinder- und Jugendarbeit“ untersucht hat. „Die meisten Jugendlichen, die kommen, sind supermotiviert sich in Deutschland eine Existenz aufzubauen – und wir sehen, dass sich viele Sozialarbeitende derzeit intensiv Gedanken machen und Wege suchen, wie sie sie dabei auch weiterhin begleiten können.“ Digitale Angebote, die umsichtig konzipiert sind und informelle Räume schaffen – mit Inhalten, die die jungen Menschen abholen. Beispiele dafür zeigen die Mainzer Forschenden auf ihrer Homepage forum-transfer.de, wie das der Jugendhilfeorganisation, die für Jugendliche Pizza bestellt und einen Chat eingerichtet hat. Dort haben sich alle um eine bestimmte Uhrzeit getroffen und gemeinsam gegessen, und sind so ins Gespräch gekommen. Oder die virtuelle Hausaufgabenhilfe, mit der eine Sozialpädagogin über den Kommunikationskanal Skype Oberstufenschülerinnen und -schüler unterstützt, und zusätzlich zur Aufmunterung jedem eine Süßigkeiten- und Rätseltüte als „Survival Pack“ nach Hause schickt. Das erfordert Fachkompetenz und Engagement, wie Anika Metzdorf-Scheithauer erklärt: „Derzeit laufen viele unglaublich kreative Dinge ab, die klar signalisieren: Jugendarbeit ist auch in Coronazeiten unterwegs.“

Dazugehören – und nicht als „der Andere“ gesehen werden
Ihre Einschätzungen schöpfen Anika Metzdorf-Scheithauer und Dr. Rebecca Schmolke aus Workshops, die sie mit Fachleuten der Kinder- und Jugendhilfe für ihre 2020 erschienene Integrations-Praxis-Arbeitshilfe durchgeführt haben. Denn: sich ausprobieren können, unabhängig davon, was man mitbringt – das formulieren die befragten 16- bis 22-Jährigen mit Migrationshintergrund als bedeutendsten Wunsch an die Adresse der Jugendarbeit , wie bereits 2018 Forschende der Universität Siegen herausfanden*. Die Jugendlichen wollen Freundschaften schließen, Fußball, Basketball oder Billard spielen, Spaß haben und Ablenkung von Langeweile finden, aber auch die deutsche Sprache trainieren und potenzielle Hilfe bei Behördenkontakten finden – und nicht als ‚Die Anderen‘ eingeordnet werden.
Die Arbeitshilfe „Wir geht nur gemeinsam“ der Servicestelle junge Geflüchtete des ism entstand mit Förderung der Stiftung Ravensburger Verlag und wurde kofinanziert aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU. Sie fußt auf den empirischen Ergebnissen einer ebenfalls von der Stiftung geförderten Pilotstudie der Universität Siegen über Junge Geflüchtete in der Jugendarbeit.

„Wir geht nur gemeinsam“
Die Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit stehen vor einer Herausforderung: Die Gruppe der jungen Geflüchteten macht rund ein Drittel der Besucherschaft von Jugendtreffs und anderen Angeboten in Städten aus. Anregungen und Hinweise gibt die Arbeitshilfe, die die Erkenntnisse der Forscherinnen für eine flucht- und migrationssensible Kinder- und Jugendarbeit bündelt. Das 50-seitige Handbuch zeigt, wie junge Menschen mit Fluchtgeschichte am besten bei ihrem Ankommen in Deutschland unterstützt werden können, und beantwortet Fragen wie diese: Wie bietet Jugendarbeit Räume, wo sich junge Menschen austauschen und ein Gefühl der Zugehörigkeit erleben können? Wo und wie erfahren junge Geflüchtete ganz praktische Unterstützung in für sie relevanten Lebensbereichen?

Die wichtigsten Tipps für Anregungen und Hilfen
Eine Fülle an Chancen und Lösungsansätzen zeigt das Handbuch auf – als die wichtigsten nennt Dr. Rebecca Schmolke: „Gute gelingende Jugendarbeit stemmt niemand ganz allein – schon allein, weil so eine vielfältige Besucherschaft angesprochen wird. Das erfordert den Aufbau eines Netzwerkes an Fachpersonen und Institutionen, beispielsweise Jugendberufsagentur, Familienzentren oder Jugendmigrationsdienste, die jeweils als ‚Schlüsselperson‘ ihre Expertise für bestimmte Probleme beitragen.“ Beachtet werden muss auch, welchen Einfluss Sprachbarrieren auf Zugänge und Nutzung der Jugendarbeitsangebote haben: „Die Kernfrage ist hier: Wie kann man in Kontakt treten, ohne dass alle die gleiche Sprache beherrschen?“, sagt Anika Metzdorf-Scheithauer. „Gemeinsam ins Gespräch gehen, interessiert, neugierig und offen nachfragen: Wie ist die Geschichte der Jugendlichen? Welche Wünsche, Hoffnungen und Erfahrungen bringen sie mit, und welchen Konflikten und Herausforderungen sehen sie sich gegenüber? Wer offen fragt, und so unterschiedliche Verhaltensweisen verstehbar macht, der kann gemeinsam reflektieren – und so den Grundstein legen für die ersten Schritte in ein eigenständiges Leben der jungen Geflüchteten.“ Johannes Hauenstein, Vorstand der Stiftung Ravensburger Verlag, bekräftigt: „Auch wenn die Corona-Pandemie die Fachpraxis derzeit zu Umwegen zwingt: Die praktischen Tipps aus der Arbeitshilfe ‚Wir geht nur gemeinsam‘ zeigen wichtige Chancen auf, und werden den Fachkräften der Kinder und Jugendarbeit in Zukunft wichtige Dienste und Unterstützung leisten.“
* Die Ergebnisse des Pilotprojektes der Universität Siegen zu den Sichtweisen der jungen Geflüchteten auf Jugendarbeit sind in folgender Publikation nachzulesen:
Thomas Coelen, Jennifer Buchna, Moritz Schumacher: Möglichkeiten und Verunmöglichungen. Subjektive Raumkonstruktionen von Jugendarbeit durch geflüchtete Besucher/innen. In: Ulrich Deinet (Hrsg.): Herausforderung angenommen. Offene Kinder- und Jugendarbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Weinheim (Beltz Juventa) 2019. S. 94-105

www.bildung.uni-siegen.de

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