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FASTENBRECHEN UND SANKT MARTIN IN DER KITA?

Symposion "Mein Gott, dein Gott" zu Interreligiösität

Veröffentlicht am 21.05.2007

Einer nicht repräsentativen, jedoch aussagekräftigen Pilotstudie in deutschen Ballungsgebieten zufolge sind 55% der Kinder in katholischen und evangelischen Kindergärten getauft. 17,9% kommen aus muslimischen Familien, und jedes fünfte Kita-Kind (19,7%) wächst ohne Religionsbekenntnis auf. Zunehmend feiern kommunale Einrichtungen religiöse Feste wie den christlichen St. Martinstag oder das islamische Fastenbrechen. Interreligiöse Fragen gewinnen in der vorschulischen Bildung immer mehr an Bedeutung. Diese und weitere überraschenden Ergebnisse der Untersuchung in 364 Einrichtungen wurden erstmals öffentlich bei einem wissenschaftlichen Symposion in Köln vorgestellt. Der Ansatz gilt als neu: Selbst in jüngsten pädagogischen Untersuchungen und staatlichen Erhebungen zur Qualität von Kindertagesstätten waren religiöse Aspekte bislang vernachlässigt worden.
Die Tagung wurde von der Stiftung Ravensburger Verlag gemeinsam mit der Tübinger Forschungsgruppe "Interkulturelles und interreligiöses Lernen in Kindertagesstätten" veranstaltet. Zwei Tage lang diskutierten rund 100 Fachleute aus Forschung, Politik, Kirchen und Kommunen, Bildung und Erziehung über die Verständigungsmöglichkeiten zwischen Kulturen und Religionen bereits im Kindergartenalter. Dem wissenschaftlichen Austausch in Köln wird voraussichtlich im Jahr 2008 ein Kongress für Erzieherinnen folgen, bei der die Ergebnisse des Symposions für die Praxis verwertbar gemacht werden sollen.

Religiöse Bildung bietet frühe Integrationschance

"Die Kindertagesstätte bietet die früheste Chance zur Integration, weil sich dort erstmals in ihrem Leben Kinder aus christlichen, muslimischen und konfessionslosen Familien treffen", erklärte Stiftungsvorsitzende Dorothee Hess-Maier. Die Stiftung Ravensburger Verlag wolle mit dem Engagement für das Symposion "Impulse in die Bildungslandschaft" geben, um frühe Integrationschancen zu ermöglichen. "Religiöse Begleitung ist für eine klare Werteorientierung unabdingbar. Kinder sollten die Verschiedenheit und die Gemeinsamkeit der Religionen erleben und erkennen, um Respekt füreinander zu entwickeln. Das verstehen wir durchaus als Erziehung zur Integration und politischen Mündigkeit, damit sie später nicht fundamentalistischen Verführern verfallen."

Der Staat schützt religiöse Pluralität

Zum Verhältnis des Staates zur Religions- und Bekenntnisvielfalt sprach Dr. Marion Gierden-Jülich, Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration. "Der Staat schützt die Pluralität und hat ein Interesse daran, dass seine Bürger – nicht allein in der politischen Bildung – in und mit dieser Pluralität positiv leben. Beides muss erlernt sein, von Kindesbeinen an", sagte die Staatssekretärin in ihrer Auftaktrede zum Kölner Symposion. Der Staat habe eine "fördernde Neutralitätspflicht". Als politische Ziele einer rechtlichen Integration des Islam in Deutschland nannte Gierden-Jülich einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht und die Ausbildung islamischer Religionslehrer.

Handlungsbedarf: Mehr Unterstützung für Erzieherinnen

"Akuten Handlungsbedarf" sehen die Tübinger Religionspädagogen Prof. Dr. Albert Biesinger (katholisch) und Prof. Dr. Friedrich Schweitzer (evangelisch), die gemeinsam die von der Stiftung Ravensburger Verlag mitinitiierte und finanzierte Pilotstudie verantworten. Die Professoren fordern jetzt "dringlich" eine vertiefte und repräsentative Untersuchung zu interkultureller, religiöser und interreligiöser Bildung in Kindertagesstätten, da die Ergebnisse alarmierende Tendenzen aufzeigten. Schweitzer: "Viele Kinder bleiben mit ihren religiösen Fragen allein, aber sie haben ein Recht auf Religion, Transzendenz und Wertebildung."

Pilotstudie ermittelte erstmals empirische Daten

Biesinger: "Unsere Befunde wurden in 364 Kitas der Städte Berlin, Hamburg, Frankfurt, Mannheim, Ludwigshafen, Stuttgart, Aachen und Dresden erhoben. Die Daten sind aussagekräftig, aber noch nicht repräsentativ." Beide Wissenschaftler beklagen, dass Erzieherinnen in Aus- und Fortbildung zu wenig unterstützt werden, um interkulturelle und interreligiöse Bildungsaufgaben wahrzunehmen. "Da muss sich rasch etwas ändern!"

Zahlen und Fakten der Pilotstudie

  • 55% Anteil christlicher Kinder in konfessionellen und 42,2% in nicht-konfessionellen Einrichtungen;
    (Die Erhebung ergab, dass religiöse Fragen und Probleme von den Kindern selbst und ihren Eltern aufgeworfen werden und häufig das Verhältnis Christentum-Islam im praktischen Alltag betreffen. Beispiele: Kleidungs- oder Speisevorschriften, Gebete vor dem Essen, Feste im Jahreskreis.)
  • 17,9% muslimische Kinder in konfessionellen, 27,1% in kommunalen u. a. Kitas;
    (Mit 3,4 Mio Muslimen stellt die islamische Bevölkerungsgruppe die drittgrößte Glaubensgemeinschaft in Deutschland nach den christlichen Kirchen dar. In Interviews wurde deutlich, dass muslimische Eltern nicht selten bewusst eine christliche Einrichtung wählen, da es ihnen wichtig ist, dass überhaupt eine religiöse Erziehung stattfindet.)
  • 19,7% bekenntnislose Kinder in konfessionellen, 17,7% in anderen Kindergärten;
    (Diskussionen mit konfessionslosen Eltern ergeben bisweilen Spannungen, weil diese oftmals eine grundsätzlich kritische Einstellung zu religiöser Erziehung überhaupt haben.)
  • Muslimische Feste wie Fastenbrechen oder Opferfest werden in nicht-konfessionellen Einrichtungen genauso häufig oder selten gefeiert wie in konfessionellen Kitas. Am häufigsten von allen religiösen Festtagen würdigen Kindertagesstätten noch vor Weihnachten und Ostern den St.-Martins-Tag:
  • Durch ein Punktesystem konnte ermittelt werden, dass auch nicht-konfessionelle Einrichtungen der Vermittlung von christlicher, islamischer oder interreligiöser Bildung, vor allem aber die allgemeine Unterstützung religiöser Bildung als ihre Aufgabe betrachten.

Referenten des Symposions

Prof. Dr. Albert Biesinger (Kath. Religionspäd. Univ. Tübingen)
Prof. Dr. Friedrich Schweitzer (Evang. Religionspäd. Univ. Tübingen)
Prof. Dr. Harry Harun Behr (Islamische Religionspäd. Univ. Erlangen-Nürnb.)
Prof. Dr. Frieder Harz (Evang. Religionspäd. Evang. FH Nürnb.)
Prof. Dr. Siebren Miedema (Erziehungswiss., Evang. Religionspäd. Vrije Univ. Amsterdam)
Prof. Dr. Heinrich de Wall (Rechtswiss. Univ. Erlangen-Nürnb.)
Dr. Marion Gierden-Jülich (NRW-Familienministerium)
Dr. Elisabeth Dörfler (Chistl.-islam. Forum Feldkirch)
Dr. Anke Edelbrock (Evang. Religonspäd., Univ. Tübingen)
Dipl.-Psych. Volker Elsenbast (Dir. Comenius-Inst. Münster)
Dr. Regine Froese (Evang. Religionspäd. Stuttgart)
Rabeya Müller (Zentrum f. islam. Frauenforschung/Frauenförderung Köln)
Johanna Wittmann (Evang. Religionspäd. Evang. Akad. im Saarland)
Dipl. Päd. Renate Thiersch (Erziehungswiss. Univ. Tübingen)
Monika Benedix (BETA Bundesver. Evang. Tageseinrichtungen Berlin)
Matthias Hugoth (KTK Verb. Kathol. Tageseinrichtungen f. Kinder Freiburg)
Dorothee Hess-Maier (Stiftung Ravensburger Verlag)
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